Fällen Sie gerne Bäume mit stumpfen Sägen?
Das heutige Führungsbild: Teamarbeit ohne Weiterentwicklung ist wie der Versuch, Bäume zu fällen mit einer stumpfen Säge. Es ist ineffektiv, nervenaufreibend und es lässt Ihnen keine Zeit, die Säge zu schärfen.
Wenn Sie am Rande mit dem Thema Agile zu tun haben, haben Sie vermutlich die folgende Geschichte schon einmal gehört:
Ein Wanderer trifft im Wald auf einen Holzfäller, der sich sehr abmüht, mit einer Säge einen Baum zu fällen. Unweit des Baumfällers steht ein Schleifstein. Der Wanderer beobachtet die Arbeit des Holzfällers eine Weile, dann ruft er hinüber: "He, Sie. Ich glaube, Ihre Säge ist zu stumpf. Warum schleifen Sie sie nicht einfach, dann geht das doch viel einfacher!"
Der Baumfäller hält kurz inne, wirft dem Wanderer einen genervten Blick zu, antwortet "Dazu habe ich keine Zeit. Ich muss doch diesen Baum fällen!" und wendet sich wieder seiner Arbeit zu.
Was in dieser Geschichte direkt auf den ersten Blick lächerlich wirkt, ist Realität in den meisten Unternehmen: Weil das Tagesgeschäft so viel Zeit frisst, bleiben keine personellen Ressourcen mehr übrig, um an Maßnahmen zur Verbesserung zu arbeiten - auch wenn diese dem Team bessere Prozesse und damit mehr Effizienz in der zukünftigen Bearbeitung des Tagesgeschäfts liefern würden. Der Druck "von oben" oder aus den anderen Abteilungen, die täglichen Aufgaben zu erfüllen, ist zu hoch, um einfach mal kurz zu pausieren und "die Säge zu schärfen".
Die Folge: Ineffiziente Abläufe, die über lange Zeit nicht "geschärft" (z.B. digitalisiert) wurden. Ein Management, das diesen Zustand nicht zu beheben weiß, wird bald feststellen, dass sein Unternehmen von der Konkurrenz überholt wird - denn die arbeitet mittlerweile nicht nur effizienter und damit kostengünstiger, sondern liefert auch bessere Qualität.
Und obwohl dieser Zusammenhang offensichtlich wirkt und auch von vielen Mitarbeitenden im Unternehmen durchschaut und angesprochen wird, kommt es mit erstaunlicher Häufigkeit zu genau dieser Situation. Wieso?
Es fehlt ein wichtiger Indikator
Wie kann ich feststellen, in welcher Stufe der Arbeitsbelastung sich mein Team befindet?
In einem recht simplen Modell könnte man die Arbeitsbelastung in folgende fünf Stufen teilen:
- Stufe 1: Tagesgeschäft + Weiterentwicklung + sonstige Arbeit
Hier wird nicht nur das Tagesgeschäft abgearbeitet, sondern es bleibt auch Zeit für Weiterentwicklung durch die Mitarbeitenden (z.B. Prozessverbesserung) und für sonstige Arbeit, die sich die Mitarbeitenden selbst suchen - ob diese nun wirklich wertschöpfend ist oder nicht. Vor dieser Stufe haben die meisten Manager Angst: "Hier drehen die Mitarbeitenden ja Däumchen, statt zu arbeiten." (Dass unter "Sonstiges" recht wertvolle Innovationsarbeit fallen kann, haben nur wenige Firmen verstanden.) - Stufe 2: Tagesgeschäft + Weiterentwicklung
Hier läuft das Tagesgeschäft, aber es bleibt auch Zeit für Weiterentwicklung. Die ideale Stufe, wenn man ein nachhaltiges Geschäftsmodell betreiben möchte. Der Traum jedes Managers. - Stufe 3: Tagesgeschäft
Hier läuft nur das Tagesgeschäft. Die Mitarbeitenden haben den Zustand des Holzfällers erreicht. Die Effizienz stagniert, das Unternehmen wird langfristig von der Konkurrenz überholt. - Stufe 4: Tagesgeschäft - Qualität
Das Tagesgeschäft wird gerade so am Laufen gehalten, aber auf Kosten der Qualität, die unter diesen Bedingungen nicht mehr geliefert werden kann. Viele Teams sehen die Quantität als wichtiger als die Qualität und versuchen, durch Verzicht auf Qualität (insbesondere Fehlervermeidung) der Lage Herr zu werden. Das Problem: das obere Management sieht eher die Quantität als die Qualität in den Reports, d.h. der Qualitätsmangel wird oft spät bemerkt. - Stufe 5: Zusammenbruch
Das System bricht zusammen, da selbst das Tagesgeschäft nicht mehr läuft. Mit hoher Wahrscheinlichkeit passiert dies abrupt, da die hohe Arbeitsbelastung Kündigungen und Ausfälle bewirkt, die den Zustand kaskadenartig verschlimmern. Das Problem wird nach oben eskaliert.
Wo liegt das Problem?
Wenn doch Stufe 2 der Traum jedes Managers ist, wieso finden sich dann viele Teams eher in Stufe 3 und 4 wieder? Das Problem ist, dass gerade die Manager über der Teamleitung keine Möglichkeit haben, zu beobachten, in welcher Stufe sich das Team befindet. Sie drücken Sparmaßnahmen durch (oft nach dem Gießkannenprinzip), bemerken aber nicht, dass sie damit das Team eine Stufe nach unten rücken. Denn was können Sie sehen? Im besten Fall bemerken Sie noch, wenn in Stufe 4 die Qualität sinkt. Leider wird das dann oft falsch interpretiert - statt dem Team mehr Ressourcen zur Verfügung zu stellen, wird die Qualitätskontrolle verschärft oder die Mitarbeitenden werden als Schuldige dargestellt. Im schlimmsten Fall werden die Probleme erst in der Stufe des Zusammenbruchs erkennbar. Und so drücken Sparzwang (nach unten) und das Aufrechterhalten der Qualität (nach oben) die meisten Teams in Stufe 3 oder 4 - was die Nachhaltigkeit des Unternehmens stark gefährdet, da in diesen Stufen keine Weiterentwicklung passiert.
Was können Sie dagegen tun?
Wenn Sie Manager:in von Manager:innen sind: horchen Sie in die Teams rein, fragen Sie das Team, in welcher Stufe es sich sieht. Ja, Mitarbeitende meckern immer über zu hohe Arbeitslast. Aber wenn Sie von allen zu hören kriegen, dass einfach keine Zeit bleibt, um Prozesse zu verbessern, müssen Sie hellhörig werden!
Wenn Sie Manager:in eines Teams sind, das sich in Stufe 3 befindet: Machen Sie Ihre Führungskraft darauf aufmerksam. Versuchen Sie aufzuzeigen, dass sich viel Geld sparen ließe, wenn man die Prozesse verbessert - aber dass dies Ressourcen benötigt. Führen Sie Buch über die Verbesserungen, die Sie machen könnten. Schätzen Sie die Einsparungen. Zeigen Sie Ihrer Führungskraft diese Warteliste. Verweisen Sie auf das Bild des Holzfällers.
Wenn Sie Manager:in eines Teams sind, das sich in Stufe 4 befindet: Prägen Sie Ihrem Team ein, dass es eine Mindestqualität gibt, die geliefert werden muss. Nehmen Sie Warteschlangen in Kauf, statt die Qualität zu mindern. Deuten Sie gegenüber Ihren Führungskräften auf diese Warteschlangen hin (diese sind für das obere Management deutlich sichtbarer als Qualitätsmängel!) und sprechen Sie das Problem an. Machen Sie klar, dass mit den aktuellen Ressourcen die Menge der Aufträge nicht zu erledigen ist - und das Unternehmen so Geld verliert.